Tanna, die Feuerinsel im Pazifik
- Mirko Mona
- 25. Nov.
- 8 Min. Lesezeit

Tanna, Vanuatu - 12. September bis 19. September 2025
Es war soweit. So leicht es einem fällt, Fidschi mit seiner atemberaubenden Landschaft und seinen liebenswürdigen Menschen ins Herz zu schließen, umso schwerer ist es, dieses faszinierende Land irgendwann wieder zu verlassen. Andererseits freuten wir uns darauf, ein neues Abenteuer anzutreten und etwas Neues zu entdecken. Jetzt wurde es spannend. Nachdem wir in Lautoka und Denarau drei Tage lang die Läden durchstreift und unsere Vorräte gründlich aufgefüllt hatten – wer konnte schon sagen, wann wir wieder auf gut sortierte Shops stoßen würden – und wir dazwischen noch eine tolle Eintageswanderung zum Mount Batilamu mit den Seenomaden Doris und Wolf unternommen hatten, fühlten Mirko und ich uns bestens vorbereitet für das nächste Abenteuer. Wir wollten das kommende Wetterfenster nutzen und nach Vanuatu segeln.
“Vanu… was?” war die häufigste Reaktion, die ich bekam, als ich meinen Freunden und meiner Familie erzählte, wohin es als Nächstes gehen würde. V-a-n-u-a-t-u. Nein, auch nicht Vanatu, wie selbst Mirko es – sogar jetzt noch, nach dem hundertsten Mal – falsch ausspricht. Die Inselgruppe liegt im Südpazifik, rund 200 Seemeilen westlich von Fidschi und nur eine kurze Segelstrecke von Neukaledonien entfernt. Seit 1980 ist Vanuatu von Großbritannien und Frankreich unabhängig und seither eine parlamentarische Republik. Vanuatu hat etwa 330.000 Einwohner und besteht aus 80 Inseln, von denen 65 bewohnt sind. Meist gibt es auf den Inseln viele kleine Dörfer, in denen jeweils nur ein paar Familien zusammenleben. Neben Englisch und Französisch gibt es noch eine andere Amtssprache, die sich Bislama nennt. Es handelt sich dabei um eine super witzige Sprache, die klingt, wie ein Mix aus „kaputtem“ Englisch und Französisch und wird auch “Pidgin English” genannt. Durch sie können sich die Menschen aus den verschiedenen Teilen Vanuatus überhaupt verständigen, denn bei sage und schreibe 110 verschiedenen lokalen Sprachen wäre Kommunikation sonst kaum möglich. Selbst auf kleinen Inseln, die nur wenige Kilometer breit sind, spricht nämlich jedes Dorf seine ganz eigene Sprache, die für die anderen Bewohner oft unverständlich bleibt. Diese Tatsache kürt Vanuatu zu einem der sprachlich buntesten Länder der Welt. Und noch etwas macht es besonders: Laut Happy Planet Index zählt Vanuatu zu den glücklichsten Ländern weltweit – nicht wegen Wohlstand, sondern wegen Lebensfreude, Gemeinschaftssinn und einem beeindruckend nachhaltigen Lebensstil.
Was viele nicht wissen (selbst wenn ihnen der Name Vanuatu schon einmal irgendwo begegnet ist): Vanuatu liegt auf dem Pazifischen Feuerring und somit in einer der aktivsten tektonischen Zonen der Erde. Es gibt mehr als zehn aktive Vulkane – darunter den Mount Yasur auf Tanna, Mount Benbow auf Ambrym und Mount Garet auf Gaua – sowie mehrere unterseeische Feuerberge. Durch die ständigen Erdbeben und Vulkanausbrüche verändert sich das Land fortlaufend. Manche Inseln heben sich nach einer Eruption um mehrere Meter, manchmal versinken Landstriche unter der Wasseroberfläche. Als Segler muss man deshalb immer ein wachsames Auge auf den Tiefenmesser haben, egal ob bei Überfahrten oder beim Ankermanöver, denn Vanuatu birgt gelegentlich unerwartete Überraschungen. Statt der auf der Seekarte angekündigten 60 Meter Wassertiefe hatten wir zum Beispiel schon einmal nur 15 Meter – immer noch genug, aber eben ein Zeichen dafür, wie sehr die brodelnden Giganten die Umgebung beeinflussen.
Zusammengefasst sahen die vier Tage und Nächte unserer Überfahrt ungefähr so aus: Erst hatten wir unruhige See mit hohen Wellen, dann wurde das Meer plötzlich fast zu glatt – kein Wind, also mussten wir den Motor anwerfen, was uns über Stunden mit seinem Brummen begleitete. Das Wetter wechselte im Stundentakt: Sonne – Regen – Sonne – Regen – Sonne. Zum Glück überwog der Sonnenschein. Wir aßen viel Pasta Pesto – das typische Überfahrtsessen – und zu meiner Freude gab es noch Reste der Geburtstagstorte von Mirkos besonderem Tag, den wir noch in Fidschi gefeiert hatten. Als endlich zum dritten Mal die Dämmerung anbrach, tauchte die Silhouette der ersten Insel dieses uns noch völlig unbekannten Landes auf. Vanuatu lag vor uns. Nach drei Tagen und Nächten auf See erreichten wir Tanna – der Beginn unseres Vanuatu-Abenteuers.
Als ich an besagtem Morgen aufstand, wusste ich gar nicht, wohin ich zuerst schauen sollte. Im Osten die orangefarbene Sonne, die ihre sonnenstrahlenförmigen Arme direkt aus dem Wasser in den wolkenlosen Himmel zu strecken schien – noch etwas verschlafen, fast gähnend. Und im Westen die Insel Tanna, auf der sich einer der aktivsten Vulkane Vanuatus erhebt: Mount Yasur. Sein ständig aufsteigender Rauch wirkte, als wolle er die tropische Insel in seinen aus dem Krater quellenden Schwaden einhüllen.
Die Spuren großer Weltentdecker sind auf Vanuatu noch immer überall zu sehen. Wir ankerten in Port Resolution – einer Bucht, die Captain Cook höchstpersönlich nach seinem Schiff benannt hatte, als er hier 1774 zum ersten Mal anlegte, angelockt vom roten Glühen des damals sehr aktiven Vulkans. Die Bucht liegt direkt in der Caldera von Mount Yasur.
Schwarze Strände, kleine kochend heiße Quellen und breite, badewannenwarme Flüsse, die direkt ins Meer fließen. Überall brodelnde, dampfende Löcher, aus denen zwischen den Bäumen Rauch aufsteigt. Weiches, farbig schimmerndes Vulkangestein, das unter den Füßen zerbröselt. Ein riesiges, offenes schwarzes Aschefeld, auf dem einem der Vulkansand wie in der Wüste ins Gesicht peitscht. Und mittendurch schlängelt sich ein kleiner Canyon, den der Vulkan selbst geformt hat. Man würde meinen, diese fremde, vulkangeprägte Natur wäre schon aufregend genug, oder? Schon, ja. Trotzdem verbirgt sich dazwischen noch eine faszinierende, völlig fremde Kultur, die sich komplett von unserer unterscheidet.
Es begann bereits am Ankerplatz, auf dem uns schon bald ein paar Outrigger-Boote umkreisten – kleine, schlanke Kanus mit einem seitlich angebrachten Ausleger. Die neugierigen Insassen grüßten uns freundlich, sagten aber nichts weiter und betrachteten eher schweigend unser Boot. Erst später stellten wir fest, dass sie eigentlich nur auf weitere Kanus warteten, um gemeinsam mithilfe eines großen Netzes mit dem Fischen zu beginnen.
Bei unserem ersten Spaziergang im Dorf wurden wir nicht, wie wir es von Fidschi gewohnt waren, euphorisch begrüßt und für das Sevusevu zum Chief geführt. Die Ni-Vanuatu – so nennt man die traditionellen Einheimischen – sind zunächst eher zurückhaltend und schüchtern. Hier begrüßten sie uns zwar freundlich mit einem „Halo“, doch nach einer kurzen Begutachtung unserer weißen Haut gingen sie wieder ungestört ihren Tagesgeschäften nach: Wäsche im Frischwassersee waschen (wobei „frisch“ sich hier nur auf den Salzgehalt, nicht auf die Klarheit des Wassers bezieht), Fische im gleichen See fangen (mit einem leichten Seifengeschmack - yummy), in den Kochhütten kochen, eine Horde Kinder bespaßen, Hütten bauen oder Korallensand für den Hausbau vom Strand sammeln.
Die Insulaner Vanuatus leben meist in Holzhütten auf Stelzen, deren Wände aus Padanussmatten bestehen und deren Dächer aus einem Blättergeflecht gefertigt sind – gelegentlich ist sogar ein Solarpanel darauf befestigt. Der Dorfmittelpunkt ist ein großer Platz, an dessen Rand eine oder mehrere Kirchen stehen, von dem mehrere Wege in das Häusergewirr führen. Die Wege werden von beiden Seiten mit hohen, bunt blühenden Hecken gesäumt, in denen immer wieder kleine Lücken erscheinen, die den Blick auf eine Ansammlung von Häusern freigeben – eine Schlafhütte, eine Kochhütte, ein Outhouse (Toilette) und vielleicht noch ein oder zwei weitere Häuser für andere Zwecke.
Tanna besucht man eigentlich aus einem sehr offensichtlichen Grund: um den Mount Yasur zu besteigen. Der Vulkan, den selbst Captain Cook das „Leuchtfeuer des Pazifiks“ nannte, ist einer der zugänglichsten Feuerspucker der Erde – und stand auch bei Mirko und mir ganz oben auf der Liste.
Durch Hörensagen stießen wir bei der Organisation der Tour auf Donovan, einen jungen Einheimischen aus einem Dorf nahe der Bucht Port Resolution. Seit ein paar Jahren bietet er eine Wanderung durch das Land der Dorfbewohner bis zum Vulkan an, wo man dann am Fuße übernachtet. Als wir uns kennenlernten, lud er uns ein, mit seiner Familie zu essen. Neben dem… ähm Genuss (?) von undefinierbarem Fleisch, ungesalzenem Reis und Kraut mit Brotfrucht – es es kommt ja nicht auf das Essen, sondern auf die Gesellschaft an, oder? – er erzählte uns, dass das Geld, das er mit der Tour verdient, direkt in ein Projekt für eine Wasserpumpe für fließendes Frischwasser im Dorf investiert wird. Donovan ist der Meinung, dass die große Firma, die den Vulkan eingezäunt hat, den Einheimischen ihr Land und deren Anteil am Tourismus vorenthält. Deshalb umgeht er das Unternehmen bewusst. Diese Haltung hat ihn schon mehrfach in Schwierigkeiten gebracht – festgenommen wurde er zwar, verurteilt aber nie. Ganz illegal kann sein Ansatz also wohl nicht sein, oder?
Überzeugt, mit Donovan die richtige Entscheidung getroffen zu haben, ging es daher eines schönen Nachmittags los: Donovan, seine Frau Josline und drei Jungs zwischen zehn und 18 Jahren führten unsere kleine Gruppe von sechs Tamtonga – das hiesige Wort für „Weiße“ – im Gänsemarsch ein paar Stunden durch den üppigen Dschungel. Sie versorgten uns mit frischen Bananen und Kokosnüssen und machten mit uns einen Stopp unter einem riesigen Feigenbaum, um mit einer Liane wie Tarzan über das Gestrüpp zu schwingen. Das Unterholz wirkte beinahe friedlich, bis wir plötzlich ein lautes Grollen spürten – sowohl in den Ohren als auch in den Gliedern. Es klang, als würden Wellen am Riff zerschellen. Waren wir wieder in der Nähe des Ozeans? Nein – das war Mount Yasurs erster Willkommensgruß! Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, dass das erst ein kleiner Vorgeschmack dessen war, was uns noch erwarten würde.
Zwei Stunden später verließen wir den schmalen Weg, dessen hohes Schilf die Sicht auf die Umgebung versperrt hatte, und traten auf eine weite Ebene. Vor uns erhob sich ein riesiger, schwarz-grauer, von Zeit zu Zeit grollender Geröllhaufen: Mount Yasur. Seit mindestens 800 Jahren spuckt der kleine Gigant, der gerade mal 361 Meter hoch ist,rot leuchtende, heiße Lava – und wir standen nun direkt davor. Über ein Aschefeld, das links und rechts von beeindruckenden, klippenartigen Lavazungen gesäumt war, ging es noch zweihundert Meter über poröses, schwarzes Geröll und Sand zum rauchenden Kraterrand hoch. Ja, wir kletterten tatsächlich einfach so einen Vulkan hoch! Ich konnte es selbst kaum fassen.
Der Ausblick von oben auf die schwarz-rot-grün-gelbe Landschaft, die im endlosen Blau des Himmels in der Ferne zu verschwinden schien, war atemberaubend. Wenn nicht mehr beeindruckend war der Blick in den aschefarbenen Krater des Vulkans. Trotz des kalten Windes und der stechenden Luft, die mich gleichzeitig zum Weinen und Husten brachte, konnte ich meinen Blick nicht von dem glühenden Loch in der Tiefe des Kraters losreißen. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich dieses für den offiziellen Eingang zur Hölle gehalten.
Man hatte uns gesagt, dass Yasur momentan wenig aktiv sei, und wir hatten eigentlich keine großen Hoffnungen gehabt, tatsächlich Lava zu sehen. Als er jedoch zum ersten Mal grummelte und glühende Fetzen in die Höhe spuckte, entfuhr mir ein erstauntes „Woooooooow!“, während es den anderen in der Gruppe die Sprache verschlug. Was für ein Erlebnis! Obwohl es immer dunkler und kälter wurde, blieben wir mindestens eine Stunde oben, fasziniert und respektvoll vor dieser Naturgewalt. In solchen Momenten wird einem bewusst, wie klein und unbedeutend man eigentlich ist.
Zurück am Campingplatz ließen wir den Abend am Lagerfeuer ausklingen, teilten unseren Proviant, und einer der jungen Tourguides erzählte uns eine Geschichte. Aufgrund seines gebrochnen Englisch, verstand sie zwar keiner von uns so wirklich, dennoch hörten wir alle gebannt zu, während wir in die Flammen starrten. Schlaf gab es anschließend kaum. Ob es an der dünnen Pandanussmatte lag, durch die jeder Stein im Rücken spürbar war, an den schweren Kochbananen zum Abendessen oder am lauten Brummen von Yasur, das mich eher fasziniert statt erschrocken aus meinem Herumgedöse aufrecht im Zelt aufsitzen ließ, kann ich nicht sagen. So oder so standen Mirko und ich vor Sonnenaufgang auf und kletterten ein weiteres Mal zum Krater hoch, um ein letztes Mal das Schauspiel der Erde live mitzuerleben, bevor wir den Zeltplatz räumten und den Rückweg antraten.
Um es mit den Worten eines echten Ni-Vanuatu auszudrücken: Die Erlebnisse auf Tanna waren eines meiner „Nambawan“ (Bislama für das englische “Number One”) -Erlebnisse in Vanuatu! Mir stellen sich noch heute respektvoll die Nackenhaare auf, wenn ich daran denke, eine solche Naturgewalt so hautnah erlebt zu haben.
[Fotoreihe]
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Es dampfte aus allen Löchern | |






























































































So schön…. Habe schon sehnlichst gewartet endlich wieder mal etwas Interessantes zu lesen! Wünsche weiterhin eine gute Zeit
Lg Christine