Minerva: Ankern mitten im Pazifik
- Mirko Mona
- 23. Juli
- 9 Min. Lesezeit

Minerva Süd - 5. bis 10. Juni 2025
Für Mirko und mich war es jetzt schon das zweite Mal, dass wir Zeit in dieser Oase verbringen durften. Im Frühjahr 2024 hatten wir auch hier einen Stopp eingelegt, bevor wir weiter nach Tonga gesegelt waren. Die letzten Tage hatten wir uns in Gewässern mit einer Tiefe zwischen 2.000 und 4.000 Metern befunden. Und jetzt, mitten im Ozean, hunderte Kilometer vom Land entfernt, konnten wir plötzlich auf 12 Metern den Anker schmeißen.
Wie das geht? Die Minerva Riffe liegen auf einem untermeerischen Plateau. Dieses Plateau ist zwischen 550 und 1.100 Meter tief und erstreckt sich über eine Länge von 45 Kilometern. Die Riffe sind Atolle im Entstehungsprozess und haben sich seit 1916 um einen Meter angehoben. Die höchsten Stellen ragen bei mittlerem Tidenhub bereits aus dem Meer, lediglich bei Hochwasser liegen die Riffe größtenteils noch unter der Wasseroberfläche. Ein Atoll ist übrigens ein aus einem ringförmigen Riff und einer Lagune bestehende Koralleninsel in tropischen Meeren. Da die Minerva-Riffe (noch) keine Inseln aufweisen, kann man sie daher noch nicht ganz als ein "fertiges" Atoll bezeichnen.
Leider meinte es das Wetter dieses Jahr nicht ganz so gut mit uns wie letztes Jahr. Es war windiger, tagsüber sehr oft bewölkt und manchmal sogar regnerisch. Dennoch war es ein ganzes Stück wärmer als in Neuseeland - sowohl die Luft, als auch das Wasser. Unsere Seglerfreunde, die dem Wetterfenster nicht so großes Vertrauen geschenkt hatten und noch im Norden von Neuseeland geblieben waren, erzählten uns sogar von einem “Arctic Storm”, der die Kiwis eine Woche später heimgesucht und eisige Temperaturen mitgebracht hatte - brrrrr. Gut also, dass wir den kalten Süden frühzeitig verlassen hatten.
Dem Wetter zum Trotz ließen wir es uns natürlich nicht nehmen bei der nächstbesten Gelegenheit schnorcheln zu gehen - endlich! Mirko und ich hielten es gerade mal eine halbe Stunde im 24 Grad warmen Wasser aus, bis uns kalt wurde und wir bibbernd und außer Atem die Badeleiter hoch und zurück auf die Yum Yum kraxelten. Eingewickelt in Handtuch und flauschigem Surfponcho, waren wir uns in dem Moment einig: Wir waren eindeutig außer Form. Sogar mit Shorty (kurzem Neoprenanzug) war uns schnell kalt, nach kürzester Zeit meldete sich schon die verkrampfte Wadenmuskulatur, die nur ein paar Minuten gegen die Strömung ankämpfen musste und von den peinlichen 10 Sekunden, die ich es geschafft hatte, die Luft anzuhalten fange ich jetzt gar nicht erst an. Ab diesem Tag wurde somit kontinuierlich an der Kondition gearbeitet. Wir erkundeten täglich die Unterwasserwelt und dessen Lebewesen, machten die ersten richtigen Spritztouren mit dem nigelnagelneuen Dinghy, gingen fischen und probierten das erste Mal Mirkos Wingfoil aus.
Die Unterwasserwelt war schön wie eh und je. Bunte, hohe Korallensäulen säumten den Meeresboden und boten Unterschlupf für die verschiedensten Meeresbewohner: Kleine blau-glitzernde Fischschwärme, die sich geschickt zwischen den verwobenen Armen einer Hartkoralle versteckten; ein großer Grouper, der uns wachsam beäugte - jederzeit bereit, im schmalen Korallenvorsprung zu verschwinden; Blacktips (Schwarzspitzen-Riffhai - sehen unglaublich schlecht), die uns neugierig mit runden Augen umkreisten; ein gechillter Whitetip (Weißspitzen-Riffhai - können rückwärts schwimmen) der elegant und knapp über dem Meeresboden seine Bahnen drehte, und natürlich all die bunten Rifffische, meist als Pärchen unterwegs, die sich gemächlich vom blau-türkisen Wassers hin und her wiegen ließen.
An einem schönen Tag düsten wir sogar Richtung Pass, um die dortige Unterwasserwelt zu erkunden. Den Pass kann man sich als den Botanischen Garten unter den Nationalparks vorstellen - beste Sicht, jede Menge Tiere und eine Vielzahl an Pflanzen. Auch hier am Minerva Riff wurden wir in dieser Hinsicht nicht enttäuscht. Gleich zu Beginn wurden wir überraschend von zwei Schildkröten begrüßt, die ohne jegliche Scheu nur einen Meter entfernt neben uns herschwammen! Mirko und ich waren so fasziniert, dass wir einen Hai (den größten Riffhai bisher) nicht sofort sahen, der sich ebenfalls neugierig genähert hatte, und begann, eine der Schildkröten zu ärgern (siehe Video).
Was das Wingfoilen betraf, waren wir beide komplette Anfänger. Schon öfter war jemand mit seinem Board und dem Segel in der Hand in Neuseeland oder Fidschi an uns vorbei gedüst und jedes Mal war ich wieder fasziniert davon gewesen, wie die Sportler es schafften, so geschmeidig und mit dem Foil aus dem Wasser über das Blau zu surfen (oder sagt man segeln? - Ich weiß es nicht). Darum war ich umso neugieriger, es endlich mal selbst auszuprobieren. Die erste Schwierigkeit war schon mal der Zusammenbau des Boards. Das lag aber einzig und allein daran, dass man uns die falschen Schrauben mitgeliefert hatte - und das gleich zweimal. Für was bestellt man bitte Ersatzschrauben, wenn man die fehlerhaften Schrauben nicht damit ersetzen kann? Ärgerlich. Zum Glück fand Mirko in seiner riesigen Sammlung an Werkzeug in irgendeiner seiner hundert Kisten die passenden Schrauben, sodass wir das Foil am Board befestigen konnten. Zuerst wollten wir die Basics wie Lenken, Aufstehen und das Board aus dem Wasser heben, mit dem Dinghy und ohne dem Wing (Schirm) üben - also eigentlich wie beim Wakeboarden. Lenken und Aufstehen ging nach einer Weile schon ziemlich gut, nur das Anheben des Boards - damit man nur auf dem Foil surft - brachte uns Rätsel auf. Wie soll das denn funktionieren? Das war wirklich nicht so einfach. Weder Erklärvideos noch mehrfaches Üben hatten uns bisher zum Erfolg gebracht… aber das wird schon. Vielleicht treffen wir ja bald einen Wingfoiler, der uns aus Mitleid unterrichtet.
Wie schon letztes Jahr im Minerva Riff schlüpfte jeder von uns auch diesmal einmal in die Rolle des Spitzenfriseurs. Während Mirko meinen Schnibbelkünsten blind vertraute, rutschte ich schon etwas nervöser auf dem improvisierten Friseurstuhl herum. Aber alles ohne Grund: der Kurzhaarschnitt gelang ihm wirklich gut - oder was meint ihr?
An unserem zweitletzten Tag im südlichen Minerva Riff wurde es nochmal ganz anders aufregend. Den bewölkten Vormittag verbrachte ich mit Bloggen vor dem Laptop im Saloon, als ich plötzlich einen Schrei aus dem Cockpit hörte, der mich sofort nach Oben stürmen ließ. Achtung, jetzt wirds etwas eklig. Mirko hatte sich beim Verräumen der Fischerkiste mit voller Wucht einen Haken in den Mittelfinger gerammt. Natürlich einen schön rostigen mit diesen tollen Widerhaken. Der erste Versuch ihn rauszuziehen scheiterte kläglich - der Haken, der sich einen ganzen Zentimeter tief ins Fleisch gebohrt hatte, bewegte sich keinen Millimeter. Während Mirko, dem vor lauter innerlichem Stress die Schweißperlen auf der Stirn standen, dennoch ruhig überlegte, was die beste Lösung war, gingen mir bereits jegliche Horrorszenarien durch den Kopf und prompt wurde mir kotzübel - was für eine tolle Hilfe ich doch war. Schließlich entschieden wir uns, einen kleinen Schnitt mit einem Skalpell zu machen und den Widerhaken vorsichtig rauszuziehen, um keinen Rost oder Dreck zurückzulassen, der eine Infektion oder gar eine Blutvergiftung auslösen konnte. Zurück blieb nur eine kleine, unscheinbare Narbe - Glück gehabt!
Dadurch, dass das südliche Riff etwas niedriger ist als das nördliche, ist man vor Anker nicht so gut geschützt wie im Norden. Es dient nur beschränkt als Wellenbrecher, was bedeutet, dass es in der Lagune innerhalb des Riffs ganz schön rolly (=wellig) werden kann - vor allem bei Flut. Aus diesem Grund beschlossen wir nach der fünften durchgerüttelten Nacht, ins nördliche Minerva Riff weiterzuziehen, dessen höher liegender Riffring etwas mehr Schutz vor dem Ozean bietet.
Ihren Namen erhielten die Riffe übrigens von Kapitän Henry Mangles Denham vom Forschungsschiff HMS Herald. Er benannte sie nach dem Walfangschiff Minerva, das 1829 am südlichen Riff strandete.
Minerva Nord - 10. bis 15. Juni 2025
Das andere Riff lag nur 22 Meilen nördlich, die die Yum Yum mit gemütlichen 5 bis 6 Knoten Geschwindigkeit in ein paar Sonnenstunden bewältigte. Natürlich schmissen wir gleich nach den ersten Metern euphorisch die Fischerleinen mit unseren besten Ködern aus, doch bis zum “Anker tief” ging uns kein einziger Fisch an den Haken. Schlimmer noch: dreimal wurde einfach der Haken abgebissen! Zusätzlich riss sich am selben Tag ein riesiger Fisch von der Leine los, als wir sie mit dem Dinghy nachschleppten und zog unseren Lieblingsköder mit sich in die Tiefe. Das war wirklich nicht unser Tag gewesen. Die Fische hatten wohl alle gewusst, dass Mirko aufgrund seiner Verletzung die “Drecksarbeit” nicht erledigen konnte und ich diesmal den Fisch ausnehmen und filetieren hätte müssen. Das wollten sie (abgesehen von ihrem Tod) wohl auf alle Fälle vermeiden. Bis auf das riesige Exemplar des Jackfishs (oder sowas in der Art - ich konnte ihn nicht identifizieren), das Mirko umringt von drei Haien während unserer Schnorcheltour im Pass schoss (ja, verdammt aufregend 🦈🦈🦈), ging uns kein einziger Fisch mehr während unserer Zeit in Minerva in die Falle. Ein Glück, dass uns endlich Rachel und Adam mit ihrer Lady Annabelle (Sydney, Australien) eingeholt hatten, während eines Schnorchelausflugs einen Crayfish (eine Languste) fingen und am selben Abend mit uns teilten. Wir verbrachten viel zeit mit den zwei. Jeden Abend wechselten wir uns ab mit Appetizern und Drinks an Bord. Es war schön, zwischendurch etwas Gesellschaft zu haben, vor allem welche, die immer spannende Geschichten mitbrachte. Beispielsweise erzählte Adam, der wie jeder zweite Australier einmal Tauchlehrer gewesen war, von Riesenkalmaren die Haie anknabbern und von Booten, die im Orkan vom Wind davongetragen und Tage später im nahegelegenen Mangrovenwald wiedergefunden wurden. Rachel erweiterte diese Skurrilitäten mit (natürlich australischen) Raupen, die statt ihren Lebensraum in einer Zimmerpflanze kampflos aufzugeben lieber zu Menschenfresser wurden und zubissen, wenn man sie entfernen wollte. Außerdem erzählten sie uns von der gründlichen Untersuchung ihres Bootes beim Ausklarieren aus Neuseeland, bei dem der Beamte angab, nach blinden Passagieren zu suchen, sie sich aber unschlüssig waren, ob er statt Menschen eher nach kleinen flauschigen Häschen Ausschau hielt. Er hatte nämlich bei der Durchsuchung Rachels Karottenvorrat entdeckt, bei dem es sich anscheinend um mehrere Kilos (unglaubliche 6 Kg! ) handelte. Rachel mag halt einfach Karotten 🥕.
Übrigens hatte ich Probleme mit Ungeziefer an Bord - Nein, leider keine Häschen. Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, einen kleinen Kräutergarten zu züchten. Ich hatte dafür in Neuseeland sorgfältig meine Lieblingskräuter und passende kleine Übertöpfe ausgesucht, liebevoll mit etwas Erde aus dem Garten der Riverside Marina in Whangarei aufgetoppt und an ein sonniges, aber windstilles Plätzchen in der Bordküche vor dem Fenster platziert. Tja… wer hat den Fehler bereits gefunden? Genau. Die Gartenerde. Ich hatte damit nicht nur nahrhafte Bioerde aus Neuseeland, sondern auch gleich eine kleine Schnecke, eine Raupe und ein paar Ameisen eingeschleppt. Gut gemacht, Daniela. Erst drei von sieben kaputte Pflanzen später entdeckte ich die tödlichen Ungeheuer.
Auch an diesem Ankerplatz im glasklaren Wasser des nördlichen Minervariffs ließen wir es uns nicht nehmen, jeden Tag im 24.2 Grad warmen Wasser schnorcheln zu gehen. Interessanterweise fand man in der Lagune nur ganz vereinzelt schöne Korallenbommies und zusätzlich zwei korallenbewachsene Wrackteile, an denen es nur so von Fischen wimmelte, während ansonsten weit und breit sandige Unterwasserwüste herrschte. Sogar den Schnorchelausflug zum Pass hatten wir uns hier etwas bunter vorgestellt - aber das ist Jammern auf hohem Niveau, wenn man dort zwei anmutigen Eagle Rays begegnet, oder? Unter den Seglern wurde gemunkelt, dass hier am nördlichen Minerva Riff zwar ein vier Meter großer Tigerhai seinen Wohnsitz hatte… gesehen hatte ihn aber schon länger keiner mehr. Es wurde lediglich eine Seglern versehentlich von einem Riffhai vom SUP geschubst, den sie aber vorher mit Fischresten unabsichtlich in Bootsnähe gelockt hatte, und der noch ein paar Stunden länger nach mehr (normalerweise nicht-menschlichen) Leckereien Ausschau gehalten hatte.
Am Tag vor unserer Weiterreise nach Fidschi gesellte sich noch ein weiteres junges Seglerpaar zum Abendessen zu uns: Merrit und Joost mit ihrer Awa. Die zwei Holländer sind seit 2021 unterwegs und wollen dieses Jahr auf (fast) direktem Weg nach Kanada. Mit ihrer stählernen, türkisfarbenen Awa waren sie sogar schon durch die patagonischen Fjorde gesegelt. Wir verabschiedeten uns an diesem Abend von Lady Annabelle, die beschlossen hatten, nach Tonga weiterzusegeln und auch von Awa, die zwar auch nach Fidschi segelten, aber an einem anderen Port einklarieren wollten. Für uns gehts weiter nach Savusavu auf Vanua Levu und von dort… tja - mal sehen!
Und da war noch…
das Lichterketten-Debakel. Alles begann schon in Neuseeland. Mirko hatte sich einen tollen Plan zurecht gedacht und war froh und munter in Neuseeland einkaufen gewesen, um alles für die nahtlose Installation einer neuen licht- und stimmungsspendenden Lichterkette im Cockpit zu organisieren. Um das bunt leuchtende Stück Elektrik zusätzlich vor Regen zu schützen, hatte er sogar einen passenden, durchsichtigen Schlauch als Hülle gekauft, wo wir die 5 Meter lange Kette einfach nur durchfädeln sollten. Mirko hatte sogar extra genau passende Schlaufen an das neue Bimini nähen lassen, um das Meisterwerk nachher zu befestigen. Der Plan war eigentlich perfekt - und dadurch natürlich gleichzeitig zum Scheitern verurteilt. Der Schlauch war einfach ein kleines bisschen zu eng und erschwerte das ganze ungemein. Weder Spülmittel noch Feingefühl halfen dabei. Das ganze Projekt, das uns einige Stunden über mehrere Tage kostete, vernichtete in null komma nichts die idyllische Stimmung am Minerva Riff. Als uns nach dem zwanzigsten Versuch dann die zweite Lichterkette auseinander riss, hatten wir die Nase voll und bedachten das Ganze schon als gescheitert und ich schmiss das Handtuch. Ich sah es positiv: Zumindest musste man sich keine Gedanken mehr über “Das Auge isst mit” beim Abendessen machen… Als ich am nächsten Tag aufstand und das ganze schon hinter mir gelassen hatte, war Mirko bereits dabei, die Lichterkette zu reparieren - genauer gesagt zu löten (ja, wir haben tatsächlich einen kleinen Lötkolben an Bord!). Er schien über Nacht eine Eingebung gehabt zu haben und voilá: Nach vier Tagen kann sich das Ergebnis sehen lassen!
Einfach traumhaft und es ist so schön wieder Teil Eurer Reise zu sein 🫶
Wunderschön! Vielen Dank! Eure Berichte werden immer professioneller ….