Die Überfahrt: 123 Stunden Blau
- Mirko Mona
- 10. Juli
- 8 Min. Lesezeit

Die Überfahrt - 30. Mai bis 5. Juni 2025
Ich kenne viele, die sagen, es sei ihr Traum einmal eine Ozeanüberquerung mit dem Segelschiff zu machen, bei der man irgendwann zwischen Himmel und Wasser zu sich selbst finden kann. Auf der man beginnt, eins mit dem Meer zu werden und es nur noch wichtig ist, einzig und allein den salzwassergetränkten Wind zu spüren, der die Segel füllt. Während man wochenlang nur von Wasser umgeben ist, gibt es nichts zu tun, außer über das Leben nachzusinnen und die innere Ruhe zu finden… Das hört sich wirklich traumhaft an, oder? Tja, leider kann man das wörtlich nehmen, denn diese Vorstellung bleibt ein Traum - zumindest ein Teil davon. Die Realität einer solchen Überfahrt sieht oftmals doch ein kleines bisschen anders aus - zumindest habe ich das so empfunden.
Nachdem ich jetzt schon ein paar mehrtägige Überfahrten hinter mich gebracht habe und es sich hier wohlgemerkt nur um höchstens sechs Tage am Stück handelte, kann ich zu diesem Zeitpunkt mit einer Bestimmtheit sagen: Solche Überquerungen sind nichts für mich. Der Weg ist hier NICHT das Ziel - zumindest nicht für mich. Auch Mirko ist nicht unbedingt scharf auf diese langen Passagen und das trotz der Tatsache, dass die Weltmeere schon sehr lange sein Zuhause sind.
Ich meine, die obige Beschreibung klingt ja schon ziemlich toll, aber die meisten vergessen, dass es sich bei diesen mehrtägigen oder sogar mehrwöchentlichen Passagen nicht durchgehend um “Champagnersegeln” handelt. Leider kann man meistens kein Gläschen Sprudel bei durchgehendem Sonnenschein ohne Wellengang, ohne Krängung (Schieflage) und bei leichtem Wind genießen. Eventuell das eine oder andere Mal, aber eben nur selten. Das mit dem Champagner ist eh halb so schlimm. Einerseits schmeckt das teure Blubbelwasser eh nicht so gut wie Prosecco (by the way; Buy me a Prosecco ;-); andererseits hat man während dieser Zeit auf See sowieso kein Bedürfnis nach irgendwelchen legalen Drogen außer Schokolade und Stugeron, die Tabletten gegen Seekrankheit. Zumindest geht es uns immer so.
Leichtwind ist ohnehin nicht das, was man sich auf einer Passage wünscht. Man möchte ja schließlich genügend Wind haben, um irgendwann auch am Ziel anzukommen. Das hat zur Folge, dass man sich mit dem starken Wellengang und der ungemütlichen Schieflage abfinden muss - und das bei Tag und bei Nacht -, was erholsamen Schlaf zu einer Seltenheit macht.
Natürlich hat eine Überquerung auch seinen Charme - ganz klar. Fast täglich erlebt man sowohl Sonnenauf- als auch Sonnenuntergang, man kann sich endlich einem Buch widmen, für das man bisher keine Zeit hatte, man ist fernab vom Strudel der Sozialen Medien und das Schönste ist sowieso, dass man (wenns gut läuft) 24/7 die Segel gesetzt hat. All das bringt eine gewisse Romantik mit sich.
Von Neuseeland nach Minerva
Mirko und ich entfernten uns unter Segel von Neuseeland. Es lagen ca. 820 Seemeilen (1.519 Kilometer) vor uns, die wir in fünfeinhalb Tagen (und Nächten) bewältigen wollten. Erst als es dämmerte, verschwand auch die letzte markante Bergspitze der Nordinsel Aotearoa (Maori Name für Neuseeland). Nicht nur wir waren auf dem Weg zu “den Inseln”, auch einige andere Segelboote befanden sich einige Meilen um uns herum verteilt in dieselbe Richtung bewegend. Trotz des, verglichen mit der Größe des Südpazifiks kleinen Abstands, sahen wir nur ab und zu ein Segel über dem Horizont aufragen. “Die Inseln” beziehungsweise “The Islands” ist DER Ausdruck, den die Kiwis (Neuseeländer) für Tonga, Fidschi, Vanuatu und die vielen anderen Inselstaaten der Südsee verwenden. Mehr als einmal wurde meine Gegenfrage “Which islands do you mean?” auf die Frage “Head'n to the islands, hey?” mit einem Schmunzeln quittiert, wobei ich förmlich das unausgesprochene “Tztz tourists…” hören konnte.
Da es für mich doch schon ein Weilchen her war, offshore zu segeln, beschloss ich, Paulas Rat (SY Freydis) zu folgen und mir schon vorzeitig eine Tablette gegen Seekrankheit zu gönnen, damit ich den ersten Tag der Passage ohne Bedenken absolvieren konnte. Mein Magen musste sich schließlich erst an dieses ständige Auf und Ab der Wellen gewöhnen und diese unangenehme Zeit wollte ich unbedingt überbrücken. Mit einem Kurs von 025 bis 035 Grad gegen Norden und durchschnittlichen 7.5 Knoten Geschwindigkeit genossen wir den ersten langen Segeltag mit der Yum Yum. Auch sie hatte nicht verlernt, wie man segelt oder über die dreieinhalb Meter hohen Wellen surft. Sowohl die Temperatur der Luft als auch die des Wassers bewegte sich noch im niedrigen Bereich, wie in Neuseeland. Doch das sollte sich schneller als gedacht ändern, umso nördlicher wir kamen, und darauf freuten wir uns schon. Als ich abends dann zusätzlich zur langen Hose und meiner dicken Jacke auch noch meine nigelnagelneue Helly Hansen Segellatzhose anzog, um warm zu haben, war klar, dass es noch ein Weilchen dauern würde, bis Bikini und Badehose aus dem Schrank geholt werden konnten. Aber alles der Reihe nach.
Die abendliche erste Wache nach dem frühen Abendessen übernahm täglich Mirko. Die Sonne ging schon um halb sechs Uhr abends unter und da es nach dem Bestaunen des meistens wunderschönen Sonnenuntergangs nichts mehr zu tun gab, legte ich mich meist direkt in die Koje, um etwas “vorzuschlafen”, bevor mich Mirko ein paar Stunden später zum Schichtwechsel weckte. Man stellt sich immer vor, dass die Wellen einen in den Schlaf wiegen wie ein Baby, das von seinen Eltern sanft in der Wiege geschaukelt wird, bis es einschläft. So einfach ist das dann doch nicht. Das Hin und Her und Auf und Ab der Wellen fühlt sich eher an, als ob man in einer Waschmaschine liegt. Die scheinbar unendliche Krängung und die Geräuschkulisse, die einerseits das vorbei rauschende Wasser am Bug und andererseits das scheppernde Inventar des Schiffes veranstaltet, trägt dabei nicht gerade zu einem erholsamen Schlaf bei.
Mirko weckte mich trotzdem jede Nacht nach Mitternacht und ich kroch wenig erholt und mit Rückenschmerzen vom verkrampften Rumliegen aus dem Bett, um meine Schicht anzutreten. Meist waren die Nächte ereignislos, was positiv war, aber es gab da die paar Dinge, die jede Nacht trotzdem zu etwas Besonderem machten: Manchmal war es der Sternenhimmel, an dem man außer dem markanten Kreuz des Südens vor lauter Sterne die Sternbilder nicht erkennen konnte, ein andermal war da dieser leuchtende Plankton, der das unendliche, schwarze Wasser in eine glitzernde Decke verwandelte. Und habt ihr schon mal einen Mondaufgang vom Ozean aus beobachtet? Ein unbeschreibliches Ereignis. Im Großen und Ganzen lernte ich die Nachtfahrten zu lieben. Es war eigentlich gar nicht so übel, zu unsittlichen Zeiten wach zu sein, um in die weite Ferne ins eben doch nicht so leere Nichts zu starren.
Im Gegensatz zur Nacht war es untertags meistens leicht bewölkt und selten strahlender Sonnenschein, während sich nächtens der Mond durch die Wolken kämpfte und den besagten Sternenhimmel freigab. In der Ferne konnten wir oftmals ein paar Regenschauer beobachten, deren Tropfen es glücklicherweise nicht zu uns schafften, aber uns ständig mit einem neuen Regenbogen überraschten. So viele Regenbögen wie am zweiten Tag unserer Überfahrt hatte ich wirklich noch nie gesehen.
Gestartet waren wir mit über 30 Knoten Wind, der sich am zweiten Tag auf konstante 20 Knoten reduzierte, bis er am dritten Tag gerade mal 5 bis 10 Knoten aufbrachte. Wir konnten bis auf den erwähnten dritten Tag immer die Segel setzen und mussten “nur” 29 Stunden unter Motor zurücklegen - was wir von vornherein gewusst hatten. Das heißt aber nicht, dass wir am dritten Tag nicht probierten, die Segel zu setzen. Bestimmt sechs mal setzten wir die Segel und bargen sie nach einer kurzen Zeit wieder. Wir probieren sogar mehrmals unseren roten Parasailor aus, eine Art Spinnaker, der genau für raumen, leichten Wind gemacht ist, und scheiterten kläglich an den schlechten Windverhältnissen. Ein Versuch wurde schließlich unfreiwillig zum letzten, als der Bergeschlauch so blöd am Segel hängenblieb, dass irgendetwas zerriss, und wir den Parasailor fürs Erste verräumen mussten.
Der entspannte Seegang bedeutete zwar weniger Speed beim Segeln oder dass man motoren musste, brachte aber einen bedeutenden Pluspunkt mit sich: Gutes Essen! Es war nämlich viel leichter unter Deck zu kochen, wenn man nicht alles festhalten musste was so herumgeschleudert wurde, wie beispielsweise Schüsseln, Gläser, Pfannen, Gemüse oder man selbst…, und man relativ horizontal zum Horizont (hihi) das Essen zubereiten konnte. Es gab dann Bratkartoffeln mit Ei zum Frühstück, einen leckeren Salat mit selbstgemachtem Brot und Guacamole zu Mittag und Steinpilzrisotto zum Abendessen - ein Traum! Durch das Lesen eines Buches wurde ich sogar zum Brownie-Backen inspiriert und zauberte uns während der ruhigen Fahrt schokoladige Energiebomben. Lustigerweise handelte das Buch eigentlich von einer Chemikerin, die aber als Fernsehköchin zum Star wurde. “Eine Frage der Chemie” von Bonnie Garmus - ein wirklich empfehlenswertes Buch (hier ein Danke an Ria für die Buchempfehlung).
Nach ein paar Tagen stellte Mirko fest, dass irgendwas mit dem AIS (Automatic Indentification System; Auf dem Kartenplotter werden die anderen Schiffe angezeigt und dient als Kollisionsverhütung) nicht stimmte. Laut Marine Traffic (Internationale Webseite) befand sich die Yum Yum immer noch in The Nook (NZ) vor Anker und war nicht irgendwo nordöstlich von Neuseeland zu finden. Mirko begab sich gleich auf Fehlersuche und stellte fest, dass wohl was mit der Antenne nicht funktionierte. Wir sahen zwar die anderen Schiffe auf dem Kartenplotter, waren aber für sie scheinbar unsichtbar. Ein Problem, um das wir uns nicht gleich kümmern konnten. Gut, dass wir da draußen sowieso kaum jemandem begegneten und wenn, sie in die gleiche Richtung unterwegs waren wie wir und somit geringe Kollisionsgefahr bestand. Und schlafende Wale oder gar verlorene Schiffscontainer haben sowieso kein AIS.
Umso weiter nördlich wir kamen, umso weniger Kleidungsschichten waren nötig. Irgendwann fiel auch die warme Segellatzhose bei Nacht weg und Mirko traute sich sogar nach ein paar Tagen untertags eine Badehose anzuziehen. Das Thermometer zeigte zwar nur die Wassertemperatur an, deutete aber darauf hin, dass wir uns Schritt für Schritt wärmeren Gewässern näherten.
Was uns am dritten und vierten Tag an Wind fehlte, kam an den Folgetagen zurück. Ein entferntes Tief hatte den ganzen Wind aufgesogen und nur darauf gewartet, ihn von einer unmöglichen Richtung an uns zurückzuschicken. Schon in Neuseeland hatte uns der Wetterbericht darauf vorbereitet, dass wir die letzten Seemeilen mit einem Am-Wind-Kurs zurücklegen mussten. Die Windrichtung war glücklicherweise gnädiger als gedacht und wir kamen mit schönen 90 Grad am Wind (Halbwind) zügig voran.
Als nach der fünften Nacht die Sonne aufging (Zu meinem Erstaunen nicht genau im Osten - wusstest ihr, dass die Positionen des Auf- und Untergangs über das Jahr leicht variieren?) war endlich ein Ende in Sicht. Es war warm, die Sonne schien, die salzige Luft prickelte auf der Haut und ich konnte gemütlich meine zwei E-Books beenden. Außerdem gab es auch noch Brownies - was will man mehr! Ach ja: Angeln! Als wir uns sicher waren, vor Sonnenuntergang unser Ziel zu erreichen, schmissen wir das erste Mal in dieser Saison die Angeln aus. Prompt biss auch ein großer Thunfisch an und ich konnte die Vorfreude, dass es bald Ceviche (in Limettensaft gegarter Fisch) geben würde, kaum verbergen.
Gegen Mittag konnten Mirko und ich in der Ferne die charakteristischen Schaumkronen erkennen, die jedes Riff kennzeichnen. Hier handelte es sich aber um ein Riff, irgendwo inmitten des weiten hunderte Meter tiefen Ozeans: Minerva! Wie schon beim ersten Mal staunten wir über dieses Naturphänomen. Die zwei Atolle - Minerva Süd, das fast 8 Kilometer lang ist und aussieht wie eine liegende Acht, und das kreisförmige Minerva Nord mit einem Durchmesser von 7 Kilometern. und zeigen nur bei Ebbe ein paar Felsbrocken des ansonsten unterwasserliegenden Riffs. Sie haben je einen Pass beziehungsweise eine Riffeinfahrt, die es uns Seglern erlaubt, in die Lagune einzufahren und dort auf sandigem Boden zu ankern.
Nach 125 Stunden - 60 helle und 65 dunkle - fiel der Anker auf 12 Metern Tiefe und wir konnten endlich mit einem Gläschen Prosecco, den wir vorausschauend schon in Neuseeland eingekühlt hatten, auf eine erfolgreiche Passage anstoßen.
So schön nach langer Zeit wieder mal von Euch 2 zu lesen! Und Daniela es war wie immer sehr spannend und lustig geschrieben! Ich freue mich schon auf den nächsten Bericht !
Glg und weiterhin viel Spass
Hallo Ihr beiden
Schön, von euch zu hören und die tollen Berichte zu lesen.
Inzwischen seid ihr sicher in ruhigen Gewässern... genießt es weiterhin!
Liebe Grüsse Gota🤗
Absolut genial die Maori/Tatoos am Heck und das neue Logo der YUMYUM.
Es ist immer sehr spannend die Lektüre des Blogs und somit unsere Emotionen mit euch zu teilen. Geniesse es!!!!