Abseits der Touristenpfade: Fulaga
- Mirko Mona
- 18. Sept.
- 8 Min. Lesezeit

Südliche Lau Gruppe, Fidschi 6. bis 17. Juli 2025
Wir befanden uns mittlerweile in einer sehr abgelegenen Gegend von Fidschi, und je weiter südlich wir segelten, desto mehr fühlten wir uns in das ursprüngliche, naturbelassene Fidschi versetzt. Vor allem ein ganz bestimmtes Atoll, am untersten Eckchen der Lau-Gruppe, ist in dieser Hinsicht unschlagbar: Fulaga. Nicht nur die Abgeschiedenheit, sondern auch die außergewöhnliche Natur machen diesen Ort zu etwas ganz Besonderem. Stellt euch das Urlaubsparadies schlechthin vor. Noch ein wenig kitschiger. Das Wasser darf noch etwas türkiser sein, der Himmel ein bisschen blauer und die Strände ein Stückchen weißer. Ach ja, und jetzt radiert noch die rot verbrannten Pauschaltouristen auf ihren Liegestühlen aus. Glückwunsch – ihr seid in Fulaga gelandet.
Geologisch betrachtet ist Fulaga, auch Vulaga genannt (alter Name), als Insel durch vulkanische Aktivitäten vor Millionen von Jahren entstanden. Nachdem die vulkanische Phase abgeklungen war, wurde die Insel von Korallen umgeben, die im Laufe der Zeit wuchsen und die heutigen Kalksteinformationen und Korallenriffe bildeten. All das führte zur Entstehung der charakteristischen Lagunen und Kalksteinlandschaften, die die Umgebung bis heute prägen.
Nach zwanzig Stunden beziehungsweise einer Nachtfahrt sahen wir am Morgen in der Ferne die hügelige Landschaft der gleichnamigen Hauptinsel von Fulaga aufragen. Der einzige Zugang zur Lagune und zu der darin liegenden Insel führt durch einen engen, etwa 60 Meter breiten Pass, der aussieht, als hätte ihn jemand in das Korallenriff geschnitten. Segler müssen die Durchfahrt gut timen, denn entweder ist die Strömung zu stark, die Wellen zu hoch – oder beides zusammen. Mirko und ich hatten es zeitlich gut abgepasst und steuerten den Pass kurz nach Tiefwasser an. Die Wellen waren am Eingang zwar beängstigend hoch und wild, doch umso ruhiger wurde es innerhalb des Passes, was mir am Ausguck einen guten Blick auf das Riff an Back- und Steuerbord bot – und glaubt mir: Mit einem 14 mal 4 Meter breiten Schiff bietet ein 60 Meter schmaler „Gang“ wirklich nicht viel Raum, um Navigationsfehler auszugleichen.
Treue Leser meines vorherigen Blogs auf FindPenguins erinnern sich vielleicht noch daran, dass ich im letzten Jahr erzählt habe, wie ein nigelnagelneues fidschianisches Marineschiff – ein Geschenk aus Australien – hier im Pass auf Grund gelaufen ist. Fun Fact: Dieses Schiff wurde damals zur Nachbarinsel Ogea gebracht, von wo es angeblich abgeschleppt und zu einer der fidschianischen Hauptinseln zur Reparatur gebracht werden sollte. Anscheinend liegt es heute noch am selben Ort, seiner Ausstattung beraubt und auf die Verschrottung wartend. Sogar auf Navionics, der gängigsten Seekarten-App, wird es bereits als Wrack angezeigt. Rest in Peace, Navy Patrol Boat 402.
Obwohl es weder für Mirko noch für mich das erste Mal hier war, kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus, nachdem wir den Pass, der unsere volle Konzentration verlangt hatte, passiert hatten und uns endlich unserer Umgebung widmen konnten. Die Lagune war atemberaubend schön: türkisfarbenes Wasser, in dem Hunderte von mit Palmen bewachsenen Felsbrocken aufragten; dahinter die große Insel Fulaga, überwuchert von dichtem Tropenwald … Es war einfach traumhaft.
Da unsere Ankunft auf einen Sonntag fiel, verschoben wir das Sevusevu kurzerhand auf den nächsten Tag. In Fidschi ist es nämlich Tradition, dass die Dorfbewohner am „Tag des Herrn“ ihren Ruhetag einhalten. Das bedeutet: außer Kirchenbesuchen (für viele sogar drei Mal am Tag), Essen und Entspannen ist nichts erlaubt – und mit „nichts“ ist wirklich NICHTS gemeint. Vor allem keine Arbeit und folglich auch kein Kochen (das große Mittagessen nach dem zweiten Kirchengang wird schon samstags vorbereitet), kein Fischen und keine sportlichen Aktivitäten. Diese Regeln gelten nicht nur für die Fidschianer, sondern ebenso für uns Segler und Touristen. Trotzdem konnten Mirko und ich es nicht lassen: Wir packten das SUP (Stand-up-Paddleboard) aus, funktionierten es zu einem Kajak um und paddelten eine Runde in der Lagune. Und als ob das nicht schon genug Gesetzesbruch für einen Sonntag gewesen wäre, bereiteten wir uns heimlich auch noch etwas zu essen zu – Lasagne, yay!
Wir waren uns sicher, dass kein Dorfbewohner, schon gar nicht der Chief, jemals herausfinden würde, dass wir das Sonntagsgebot gebrochen hatten – schließlich dürfen sie das Dorf ja nicht verlassen. ;-) Doch offenbar hatte der „Herr da oben“ ein Auge auf uns geworfen, denn beim Versuch, einen riesigen Trevally zu erledigen, den Mirko gerade an Bord geangelt hatte, brach unser Fischmesser einfach entzwei. Okay, okay, verstanden – keine „Arbeit“ mehr an Sonntagen.
Nach dem faulen Sonntag (*hüstel*) besuchten wir also am Montagmorgen mit Sulu und Kava das Hauptdorf von Fulaga. Da die Lagune die beliebteste Region der Lau-Gruppe ist, hat sich der Chief hier etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Beim Sevusevu bringt man nämlich nicht nur Kava, sondern auch gleich 50 FJD mit. Durch diese unfreiwilligen Spenden konnte sich das Dorf schon einmal einen Gefrierschrank leisten (einen für alle Bewohner zusammen, versteht sich) oder das Material kaufen, das für einen neues Häuschen benötigt wird, um einen simplen Lebensmittelshop zu eröffnen.
Seglern wie uns wird außerdem eine Gastfamilie zugeteilt, die sich während des Aufenthalts um einen kümmert. Da wir schon einmal in Fulaga gewesen waren, hatten wir gleich nach unserem ehemaligen Host Tai gefragt – und wurden direkt zu ihm geführt. Der nette alte Mann erkannte uns nach ein paar Schlagwörtern wie „Switzerland“ und „Gituar“ auch wieder und begrüßte uns herzlich. Er bot uns sofort an, eine Runde durchs Dorf zu drehen, und zeigte uns das Gemeindehaus, die Wasserspeicher, die Häuser sowie die Schule und den Kindergarten. Die zuckersüßen, gar nicht so scheuen Kindergartenkinder stellten sich uns sogar alle einmal auf Englisch vor, sangen gemeinsam ein Lied und spielten ein Spiel, bei dem ich zwar nicht wusste, worum es ging, das ihnen aber riesengroße Freude bereitete – vor allem, als wir mitklatschten.
Wir beendeten die Village-Tour schließlich im Haus von Tais Familie und bekamen eine Trinkkokosnuss mit einem supercoolen Bio-Strohhalm aus dem Stängel eines Papayablatts, eine Art Brot aus Cassava, das im Bananenblatt gegart wurde, sowie fidschianische Pancakes, die mich eher an kugelige Donuts erinnerten. Nicht nur wir fanden die runden, fettigen Dinger lecker, auch Tai’s kleine Nichte, die gerade vom Kindergarten nach Hause gekommen war, begrüßte uns mit einem kurzen “Bula” und raste sofort ins Haus, um sich die kleinen Taschen und Hände mit den Leckereien zu füllen. So süß der Anblick doch war, so krass waren ihre jetzt schon faulen Zähne, die sie uns mit einem breiten Grinsen präsentierte. Obwohl man uns erzählt hatte, dass die Kinder jeden Tag im Kindergarten und in der Schule zusammen die Zähne putzten, wird Mund- und Zahnhygiene hier wohl nicht sehr groß geschrieben.
Mit einer ganzen Staude Bananen und einem Bündel riesiger Bohnen verließen wir das Dorf. Bananen sind unkompliziert: Warten, bis die Schale von grün nach gelb wechselt, dann schälen und essen – easy. Die Bohnen dagegen … hm. Zuerst schien es simpel: Kerne aus der Schote drücken, ab ins Wasser, kochen – fertig. Dachte ich zumindest. Doch schon beim Schälen merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Die Bohnen waren groß und erinnerten an Kidneybohnen, steckten aber in einer grünen, dicken, haarigen Schote. Beim Öffnen verfärbten sich unsere Finger schwarz und wurden klebrig, und im Kochtopf wechselten die Bohnen ihre Farbe von kidneybohnenrot zu aschgrau. Der Geschmack war auch seltsam. Die Bohnen waren zwar weich und süßlich, aber von einer harten, bitteren Schale umgeben – nicht gerade appetitlich. Mein Instinkt sagte mir: besser mal googeln.
Meine Recherche ergab schließlich, dass es sich um sogenannte Velvet Beans handelte. Die muss man über Nacht einweichen, dann anderthalb Stunden kochen und anschließend von der harten, bitteren Schale befreien. Und: Im rohen Zustand sind sie sogar giftig. Als ich das laß, saß ich gerade mit halb offenem Mund da – die vierte Bohne schon auf dem Löffel – und ließ sie panisch wieder in den Kochtopf fallen. Drei dieser halb gekochten grauen grauen “Geisterbohnen” hatte ich schon intus. Zum Glück blieb es ohne Folgen: nur die üblichen Halluzinationen, keine Bauchschmerzen. Wahrscheinlich verdankte ich das meinem „Suuumaga“ (Saumagen), den ich von meinem Papa geerbt habe ;)
Mirko und ich verbrachten elf wunderschöne Tage in Fulaga. Fast täglich erkundeten wir eine neue Ecke der riesigen Lagune – mal mit dem SUP, mal mit dem Dinghy oder einfach frei im Wasser, nur mit Flossen, Schnorchel und Taucherbrille bewaffnet. Ein paarmal ankerten wir auch in anderen Teilen der Lagune, jedes Mal in einem weiteren türkisfarbenen Naturpool, oft geschützt hinter einem beeindruckenden Felspilz, der uns von den übrigen Segelbooten abschirmte. Wir quatschen bei einem Get-Togheter am Lagerfeuer mit den anderen Seglern, die sich hierher verirrt hatten, machten zu zweit BBQs an verlassenen Stränden und nutzten den Wind, um es endlich wieder mit dem Wingfoil zu versuchen – diesmal sogar mit Schirm und nicht hinter dem Dinghy herziehend, wie beim letzten Mal in Minerva.
Nachdem wir unzählige Vlogger auf YouTube studiert hatten, starteten wir mit Wingfoil-Trockentraining am Strand. Mirko hatte den Dreh schneller raus und wagte sich als Erster aufs Wasser, während ich seine Versuche beobachtete. Gar nicht so einfach, Schirm und Board gleichzeitig zu beherrschen! Aber als ich schließlich selbst ein paar Meter stand, war das ein großartiges Gefühl. Zwar schafften wir das Foil noch nicht aus dem Wasser, aber unsere ersten Versuche waren trotzdem ein voller Erfolg.
So wild und unbändig der Pass in Fulaga ist, so schön ist er zum Schnorcheln und Tauchen. Pässe eines Riffs sind meistens gesäumt von hunderten Korallen und voller bunter Fische. Das Wasser ist klar, da es durch die Strömung ständig in Bewegung ist – wie wenn man die Aquarium-Szene in „Findet Dory“ in 5D anschauen würde, nur in echt und mit jeder Menge uneröffentlichter Szenen. Wir entdeckten große Schulen von Barracudas, Snappern, Trevallys und anderen Fischen, die zu hunderten unterwegs waren und uns ängstlich beäugten, während wir sie fasziniert beobachteten.
Nach einer Woche stand in Fulaga das Sonntagsprogramm an. Zuerst Kirche mit der Dorfgemeinschaft, dann Mittagessen mit der Gastfamilie. Für uns war es der erste – und letzte – Gottesdienst: die Predigt auf Fidschianisch, begleitet von lautstarkem Gesang und einer ohrenbetäubenden Triangel. Es ist dennoch immer wieder ein tolles Erlebnis, an so einem traditionellen Tag mitten in der Community zu sein und die Kultur hautnah mitzuerleben. Vor allem das anschließende Mittagessen war super nett. Wir saßen mit der ganzen Familie auf dem Boden, vor uns ein ganzes Buffet an traditionellen Speisen: ganzer Fisch in Kokosmilch, im Lovo (Erdofen) gekochtes Cassava-Brot, Kraut nach Fidschi-Art und grünes Mangochutney.
Als wir satt und zufrieden zum Boot zurückkehrten, erinnerte ich mich an eine Nachricht von unserer Seglerfreundin (Paula hüstel), in der sie mir verraten hatte, wo man dieses leckere fidschianische Cabbage findet. Da es wieder Sonntag war und den Dorfbewohnern nicht einmal erlaubt war, Gemüse aus ihrem eigenen Garten zu pflücken (Tag des Herrn und so…), machte ich mich kurzerhand selbst auf die Suche nach dem versteckten „Gärtchen Eden“. Und tatsächlich: Hinter einem verlassenen Häuschen, das als Lager für alte, leere Weinflaschen diente (warum? Keine Ahnung), entdeckte ich einen kleinen verwilderten Garten.
Mein Gedanke an den Garten Eden hätte mich eigentlich davon abhalten sollen, einfach etwas zu klau… mitzunehmen. Naja, was kann schon passieren? Ich hieß nicht Eva und eine Schlage war auch nirgends zu sehen. Ich pflückte daher frech fröhlich ein paar grüne Blätter und drückte sie Mirko in die Hand. Doch dann meldete sich meine Blase – noch eine ganze Dinghy-Fahrt vom Boot entfernt – und ich beschloss, schnell ins Gebüsch zu pinkeln. Eine schlechte Idee. Wirklich schlecht: Ich setzte mich prompt in eine Klettenpflanze, deren stachelige Samen sich sofort in meiner Hose verkrallten. Ich wäre in diesem Moment liebend gerne sofort unten-ohne zurück zum Boot gegangen – konnte aber nicht riskieren, dass ein Fidschianer einen Herzstillstand wegen einer nackten Palagi bekam. Dennoch: Jedes Blatt Cabbage war den kleinen Pieks wert!
Die letzte Nacht verbrachten wir auf meinen Wunsch hin bei einer kleinen Insel namens Yanuy Anukalou, besser bekannt als „Lonely Rooster Island“. Man erzählt, dass dort einst ein alter Mann mit seinen Hühnern lebte. Vor einigen Jahren verstarb er plötzlich und ließ nur einen einzigen weißen Hahn zurück. Mit unglaublich viel Fantasie, kann man sich das ein bisschen wie Schneewittchen vorstellen: Gefieder weiß wie Schnee, der Hahnenkamm rot wie Blut und Augen schwarz wie Ebenholz - nur dass Albert the First, wie ich ihn taufte, definitiv nicht in einen Tiefschlaf fiel. Das bewies sein tägliches Gekrähe, das bis zum Ankerplatz zu hören war. Albert lebt seither ganz allein auf seiner kleinen, von Wasser umgebenen Insel. Die Segler-Community wurde schon mehrfach dazu aufgerufen, ihm Futter in Form von Bio-Abfällen oder Kokosnüssen vorbeizubringen, die er genüsslich verspeist. Auch wir leisteten ihm Gesellschaft und brachten etwas Cabbage vorbei. Vielleicht kommt ja eines Tages ein Einheimischer vorbei und bringt ihm eine passende Hühnerdame (ein sexy Chick) – wer weiß…
Wau, sieht es aus wie Paradies auf der Erde und am Meer! Ihr erlebt tolle Sachen und das weckt Sehensucht nach weiten Horizonten.😀